Auszug aus Grenzen

... Der Gegensatz der Situation erschlägt uns innerhalb von nur zweihundert Kilometer Entfernung an der Grenze der USA mit Mexico. Eine Grenze der Welt von primitiverer Lebensweise, ohne viel Verantwortung im Persönlichen, die an eine Welt hochentwickelter Technologie voll von Plänen und Schemen der Verbesserung lebt, jedoch unter der gleichen Sonne und dem gleichen lebendigen Licht, das beide Gebiete im gleichen Augenblick bestreicht und intensiv beleuchtet.

Da ist dann der dicke Mestize im Unterhemd in Nogales auf der mexikanischen Seite, wie er den Bauch hinaus streckt und freundlich lächelt. Er scheint hier an der Grenze etwas fehl am Platze, weil seine Familie entfernt ist. Er ist traurig, sagt er mir, weil er nur abends an der Wirtshaustür stehen muss, um die Fremden zu  begrüßen. Er dachte, reicher zu werden, wenn er hier arbeitete, statt zu Hause seiner Frau zu helfen und seine Kinder zu erziehen.

Ein Bier nehme ich mit ihm ein, und er lacht mit mir über die pummeligen Mädchen in der Cabana Bar, die da faul auf den Barstühlen hocken, die Beine hochgezogen, wobei die kurzen Röckchen sogar noch die Arschbacken freilassen.

Für fünfzig Cents amerikanischer Währung habe ich uns beiden ein Bier gekauft, und wir sind auf den Barhockern herumgeschwungen, um in den großen Raum zu sehen, wo zwölf bis fünfzehn Damen ihren Abend verbringen und auf die zahlenden amerikanischen Gäste warten. Ein Bordell sicher, aber nach außen ist es eine Bar für männliche Grenzbesucher, und nach innen ist es ein für die Mädchen angenehmerer Platz als die Straße und die staubigen Hinterhöfe, wo sie neben alten Autoteilen stehen müssten und sich durch die Kakteenhecken durchschlängeln könnten. Außerdem gibt es hier Musik aus der Jukebox. Obwohl sie wahrscheinlich Parkgebühren hier zahlen müssen, scheinen die Mädchen sich wie zu Hause in einer Familie zu fühlen, und sehen dabei träge und zufrieden aus.

Spanisch ist dann hier schon die Sprache des Landes, des Lachens und der leichten, anzüglichen Witze oder der kurzen Anweisungen an das Personal. Englisch dagegen ist die vulgäre Geschäftssprache, das "come on" des Hurenhauses, das wohl die dusseligen Amerikaner ihrer Hemmungen berauben und ihre Geldscheine locker machen soll. München Goethestraße fällt mir ein, 1950, wo man nur in Dollar zahlen konnte, und von der US- Militärpolizei überwacht wurde, auch wenn man kein amerikanischer Soldat war.

"You go to bed honey, me like fucking, Joe, only ten bucks, allright, you want a French job?"

Vulgär diese Ansprache, bar jedes Charmes, obwohl mexikanische Nutten bekannt sind für Geduld und Freundlichkeit. Man hört die Schulung heraus in dieser Anrede, die Gewerbeschule der Grenzsoldaten weiblichen Geschlechts. Dagegen sind die Mädchen noch recht jung und knusprig, sicher erst vor einigen Monate aus der Provinz zum Verdienen hierher gekommen; denn es wirkt freundlich und fast kultiviert, wie man in Spanisch hier angesprochen wird, als ob man zu einem Schultanz- Abend vorbei kam.

Eine ist aus Najarit, zu Hause sind drei Kinder, zwei davon schon in der Schule, aber der erste Mann ist über alle Berge in den USA zum Arbeiten. Zu Hause, das sind hunderte von Kilometern südwärts in Tepic, wo die Kinder bei der alten Mutter wohnen. Ohne den Mann sind es die "hijos de la putana!" Kein Preis wird genannt, man ist dankbar für einen Drink an der Bar und erwartet ein Geschäft nur, wenn man sich ein wenig sympathisch ist.

Es wäre unmöglich, dort zu arbeiten, was sollten die Leute denken in dem Dorf, wo man aufgewachsen ist, und wohin man mit dem ersparten Vermögen zurück gehen möchte. Wenn es dann genug ist, wenn etwas übrig geblieben ist davon, was die fremden Gringos gütigerweise zahlen können. Was einem der Boss, der Wirt nicht wegnimmt, und wenn man nicht krank wird, keine Kuren zahlen muß gegen die Verkrüppelung durch die Syphilis, und wenn man keine Abhängigkeit vom Rauschgift durchmachen muß, das es ja hier nur allzu billig gibt, dann kann man wieder nach Hause, "a mi tierra!" sagte sie mir mit den feuchten Augen der Frau, die an Heimweh leidet.

Die alte Frau, die große mit der roten Wolljacke, geht langsam die Stufen hinauf, von einer Bar zur anderen. Auf der Veranda bleibt sie bei drei Mädchen stehen. Zwei ziehen sich zurück, für die Dritte wird ein grünes Schaltuch, ein Rebozo, geöffnet. Ein Körbchen ist darin und genau abgezählte, sauber abgepackte Schächtelchen werden ausgetauscht. Bündelweise geht Geld von einem Busentuch in das andere, und die alte Frau geht langsam wieder die Treppe hinunter, mit schwerem Schritt, wie ein Wachsoldat, geht sie mit steinernem Gesicht voller Pockennarben, und mit ihren schweren, wuchtigen Händen geht sie wieder auf die Straße.

Sicher können solche bloßen Hände auch töten, haben schon getötet, so wie ihre Ware tötet und verwirrt, die Lichtreflexe in der Seele verwirrt und trübt, so dass keine klare Information mehr hinaus und hinein gelangen kann durch die flackernden Augen des jungen Mädchens, das noch oben auf der Terrasse steht. Wollüstig steht sie da, für die Lüste und Laster des Lebens bereit, mit schwankenden Knien, erst zwanzigjährig, aber geil nach Männern, damit sie bezahlen und ihr erlauben, neues Heroin zu kaufen, bis zur endgültigen Todesnot ihres Körpers und ihrer Seele.

Eine schwermütige Melodie fällt mir ein: "Vorüber, ach vorüber, geh' wilder Knochenmann!"

Der Tod und das Mädchen heißt die alte Weise, vertont von Franz Schubert, einem Syphilitiker aus dem alten Wien. Sie verkrampft mir das Herz, wie bei der Erfahrung, jemanden sterben zu sehen, und es macht mich weinen, was meine lichtleitenden Fasern wieder klar wäscht von den Eindrücken vom Tod und von dem Mädchen, dem ich gerade beim langsamen Absterben zusehen mußte....

Vorüber, ach vorüber, er kam ja nicht zum Strafen: "Gib deine Hand, ich bin nicht wild, du sollst nur sanft entschlafen."

Drinnen ist eine Schwangere, die sich anbietet, ich bezahle ihr einen Drink und schiebe ihr das Wechselgeld wieder zu, denn es wird schon in wenigen Tagen kommen, das Kind des vergessenen Vaters, der ja auch bezahlt hat und nun wieder in den USA wohnt, unerreichbar für sie, und unverantworlich für sein eigenes Fleisch und Blut.

"Hijos de la putana son todos aqui en la frontera," sagt auch sie mir, wie zur Entschuldigung, "die Kinder der Hure sind ja alle hier an der Grenze." ...usw

Auszug aus der Titelgeschichte La Zandunga

...Bis zu ihm oben auf der Klippe spritzte es und ließ weiße Salzflecken auf seiner braunen Haut, wenn die Sonne das Wasser getrocknet hatte. Nie änderte sich hier das Wetter oder das Meer. Dort, wo der Fluss das Wasser bis zu den Klippen hinunter dunkel färbte, gab es immer schönen Fisch, das ganze Jahr hindurch und wenn die Sonne hinter den Klippen unterging, wurde der Ozean violett und blieb nur blau, wo noch Licht hinfiel. Dann war es genug für den Tag, die Fische flohen unter die Felsen am Ufer und in der Bucht erschienen die Rückenflossen der Haie zum Abendraubzug. Gefährlich für alle, die im Wasser blieben, denn diese Haifische kamen bis zu den Klippen, wo das Wasser noch tief war und mancher vom Dorf, der noch eine letzte Tour mit dem Netz wagte, um die gut bezahlten Camerones zu fangen, verlor ein Bein oder auch das Leben durch die räuberischen Gesellen. Auch jetzt konnte Pablo die ersten spitzen Flossen erkennen, die in der Bucht kreisten und so schrie er: "Tiburon, Tiburon!"

Aber die Badenden verstanden ihn nicht und erst als er wild mit den Händen in die Richtung der Haie deutete und mit Steinen nach ihnen dort unten warf, verstanden sie die Gefahr und waren im Augenblick aus dem Wasser. Sie liefen dann langsam hinter ihm her, als er zurückging - braun und fremd wie er war, wagten sie nicht, ihn anzureden. Aber es war angenehm, seinen geschickten Schritten zu folgen. So wie er die dünnen muskulösen Beine setzte, war er ein sicherer Wegweiser über die steilen Klippen, wo der Pfad kaum erkennbar war und das Wasser unten Unruhe und Unsicherheit oder gar Schwindelgefühle erregte.

Barfuß lief er vor ihnen her, aber schnell hatte er sie zurückgelassen - schweigend und einsam war er bald hinter der nächsten Felsenecke verschwunden. Zu  Hause wartete  die Frau  mit den sechs Kindern  auf ihn,  der Fisch musste noch gebraten werden, bevor die Fremden zurückkehrten und außerdem, was sollte ein Gespräch ihm, dem Schweigenden, der doch nur blöde erscheinen würde vor all den Gelehrten und Ingenieuren, er als einfacher Fischer. Er hatte hier seinen Platz, sie mit Fisch zu versorgen war recht, aber die Gleichheit mit ihnen, das hatte wohl sein Bruder für selbstverständlich gehalten, aber er konnte es doch nicht erreichen. Er war von hier, ein armer Fischer von La Ventosa. Was hatte er zu sagen, wenn solche Leute, die sogar in der Zeitung genannt werden, mit ihm sprachen?

Er würde hier nie fortgehen, seine Hütte mit dem Vordach aus Palmblättern, unter dem er die Hängematten aufhängte und das Häuschen dahinter aus Ziegelsteinen, in dem die Frau die Kinder zu Bett brachte, noch bevor er abends nach Hause kam; die kleinen Schweinchen, die dort im Sande herumwühlten und die paar Hühner, das konnte er nicht einfach so stehen lassen. Nach dem Sturm musste jedes Mal das Dach repariert werden und dann ist da seine Frau, die schöne Tehuana, die sein ganzer Stolz war. Hatte etwa sein Bruder etwas besseres gefunden, dort in den großen Städten, von denen er geschrieben hatte?

Nein, er würde nie von hier fortgehen, nicht um viel Geld und große Ehren. Er hatte es hier aufgebaut zusammen mit dem alten Vater, sein war die Erde, die dürftige Ernte und die See, die Klippen am Abend, wenn er nach Hause ging, ja es war sogar mehr, als was er zum Leben brauchte. Jedem der Gäste konnte er eine Hängematte zwischen den Pfählen befestigen, bei Sturm und Regen war das Haus aus Ziegelsteinen fest genug und das Meer ernährte den Fischer.

Seit urdenklichen Zeiten war das so. Es gab hier keine Armut und kein Elend, wie in den großen Städten, von denen der Bruder geschrieben hatte. Seine Frau wartete vor der kleinen Hecke bereits auf ihn, um mit den Fischen anzufangen. Ihr schwarzer langer Rock wehte in der leichten Brise, die der Abend vom Ozean herwehte und er konnte ihre großen kräftigen Füße sehen, die im Sand hin- und herspielten

Die langen schwarzen Haare mit dem kastanienroten Schimmer verdeckten im Wind halb ihr Gesicht, die dunklen Augen, die so warm waren und die schönen, etwas spitzen Züge der werdenden Mutter. Die große Brust, die ihr noch immer jugendlich das schwarze Mieder mit den großen Blumen hob, bildete mit ihrem schwangeren Unterleib eine schöne Silhouette gegen den dunkler werdenden Himmel. Seine Frau, die Mutter seiner Kinder, das schönste Mädchen das er je auf dem Markt in Tehuantepec gesehen hatte. Was sollte er fort von hier, die Welt kennenlernen, studieren? Hier war sein Platz und er hoffte nur, dass sein unruhiger Bruder, der Mayo, bald neben ihm sein Haus bauen würde und schweigend mit ihm jeden Abend vom Fischen heimkehren könnte.

Vor den Augen der hinterher gekommenen Fremden gab er ihr nun wortlos die Fische. Ihre Augen leuchteten ihn an, sie verstand, was sollte man sich vor ihnen küssen. Ohne Worte verschwand sie in der dunklen Küche, um die Fische noch fertig zu bekommen, bevor das kleine Schwein am Feuer gar geworden war. In das große Blech, das in Form einer Mulde gedrückt war, goss sie Öl, tat etwas Salz dazu und als es siedete, legte sie die großen Fische hinein.     ...usw

Inhaltsverzeichnis

Mexico 180, via ruinas / Der Vulkan / Gefährliche Nachtfahrt / Grenzen, Nogales Mexico / La Zandunga

  ULTRUS präsentiert Textproben seiner Autoren
 hier Dietrich von Hagenbach: “LaZandunga”

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